Volksinitiative fordert Radikalkur für Wirtschaft und Gesellschaft – Bundesrat warnt vor «enormen Kosten» Die Schweiz soll ihre Wirtschaft zwecks Senkung der Umweltbelastung innert zehn Jahren drastisch umbauen. Das fordert eine linke Volksinitiative, die nun im Parlament steckt. Die Folgen könnten drastisch sein.
Die Schweiz soll ihre Wirtschaft zwecks Senkung der Umweltbelastung innert zehn Jahren drastisch umbauen. Das fordert eine linke Volksinitiative, die nun im Parlament steckt. Die Folgen könnten drastisch sein.
Wenn alle Länder die Umwelt pro Einwohner so stark belasten würden wie die Schweiz, wären mittel- bis längerfristig gravierende Folgen für die Menschheit zu erwarten. Das sagen Schätzungen auf Basis des Konzepts zum «ökologischen Fussabdruck».
Die jüngste Studie zu diesem Thema im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt stammt von 2022 und beruht auf Daten bis 2018. Erfasst ist der Umwelt-Fussabdruck des Landes namentlich in Sachen Ausstoss von Treibhausgasen, Stickstoffbelastung der Meere, Wasserverbrauch und Verlust von Biodiversität durch Landnutzung. Aus dem Zusammenzug solcher Teilgebiete entsteht eine Schätzung des gesamten Umwelt-Fussabdrucks. Das Konzept beruht nicht auf der Produktion, sondern auf dem Konsum. Der Schweiz werden somit auch Umweltbelastungen aus importierten Produkten und Dienstleistungen angelastet, während Exporte auf das Konto der Absatzländer gehen.
Die gute Nachricht aus der besagten Studie: Die Schweiz hat vom Jahr 2000 bis 2018 ihren gesamten Umwelt-Fussabdruck pro Einwohner trotz Wirtschaftswachstum um 26 Prozent gesenkt. Die schlechte Nachricht: Der Fussabdruck ist immer noch etwa dreimal so gross, wie er gemessen an der globalen Belastungsgrenze sein sollte. Eine Volksinitiative der Jungen Grünen, die am Montag in den Nationalrat kam, will daran etwas ändern. Laut der Initiative darf die durch den Konsum in der Schweiz verursachte Umweltbelastung spätestens zehn Jahre nach Annahme «die planetaren Grenzen gemessen am Bevölkerungsanteil der Schweiz» nicht mehr überschreiten.
Das Unbequeme bleibt ungesagt
Grob gesagt hiesse dies, dass die Schweiz ihren Umwelt-Fussabdruck innert zehn Jahren um etwa zwei Drittel reduzieren müsste. Der Initiativtext nennt in einer nicht abschliessenden Aufzählung sechs betroffene Einzelbereiche: Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphorkreisläufe.
Mit welchen konkreten Massnahmen die Initiative umzusetzen wäre, lassen der Initiativtext und die Erläuterungen dazu offen. Das entspricht einer gängigen Taktik von Volksinitiativen: Genannt sind hehre Ziele, doch um die unpopulären Teile wie die Art sowie die Kosten der Umsetzung hüllt man vornehm den Mantel des Schweigens. Der demokratiepolitische Wert von Urnengängen über solche Vorstösse ist bescheiden.
Der Vorstoss ähnelt einer früheren Volksinitiative für die «Grüne Wirtschaft», die 2016 an der Urne mit 64 Prozent Nein-Stimmen scheiterte. Jene Initiative forderte ebenfalls eine Reduktion des Umwelt-Fussabdrucks der Schweiz pro Einwohner auf die Belastbarkeitsgrenze des Planeten und gab dabei eine Umsetzungsfrist bis 2050 vor. Die neue Initiative ist mit ihrer Frist von zehn Jahren noch weit strenger – und auch viel strenger als das im Gesetz stehende Netto-Null-Ziel für 2050 zum Ausstoss von Treibhausgasen.
Gemessen an den bisherigen Äusserungen dürfte das Parlament kraft der bürgerlichen Mehrheit die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen. Doch entscheiden wird letztlich das Volk. Der Bundesrat betonte diesen Januar in seiner Botschaft zur Volksinitiative ans Parlament, dass die Umsetzung der Initiative mit «enormen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten» verbunden wäre. Im Vergleich zu 2018 wäre der Fussabdruck pro Einwohner bei den Treibhausgasen um über 90 Prozent zu verkleinern, bei der Biodiversität um über 70 Prozent und beim Stickstoff um etwa 50 Prozent, wie der Bundesrat mit Bezug auf die erwähnte Studie schrieb.
Hoher Importanteil
Das grösste Gewicht im Schweizer Fussabdruck haben das Wohnen, der Nahrungsmittelkonsum und die private Mobilität. Dahinter kommen Gesundheitspflege, Gastgewerbe und Freizeitgestaltung. Rund zwei Drittel des gesamten Fussabdrucks entfielen 2018 auf Importe. Im Prinzip erscheint der Fokus auf den Konsum sinnvoll. Denn letztlich ist die Endnachfrage die Ursache des Ressourcenverbrauchs. Es bringt dem Planeten nichts, wenn die Schweiz ressourcenintensive Industrien ins Ausland vertreibt, aber den Konsum durch Kompensation mit Zusatzimporten konstant hält. Der Haken des Konsumfokus: Die Schweiz kann den Ressourcenverbrauch von Importen nicht direkt kontrollieren. Und drastische Importbeschränkungen wären gemäss Welthandelsregeln kaum zulässig.
Angesichts der kurzen Umsetzungsfrist der Initiative müsste die Schweiz laut Bundesrat «rigorose Regulierungs- und Anreizmassnahmen» mit weitreichenden negativen Konsequenzen treffen. Als Beispiele nennt die Regierung einen deutlich rascheren Umbau der Verkehrs- und Energieinfrastrukturen – «teilweise deutlich vor Ablauf ihrer Lebensdauer». Auch für den Lebensmittelsektor sei mit Eingriffen zu rechnen. Der Bundesrat warnt auch vor «massiven Vollzugskosten» von Bund und Kantonen. Die öffentliche Hand müsste zudem laut Regierung als Nachfragerin von Bauten, Gütern und Dienstleistungen ihre ökologische Vorbildfunktion deutlich schneller als geplant entwickeln, was mit «unverhältnismässigen Mehrkosten» verbunden sei.
Eine systematische Analyse der volkswirtschaftlichen Folgen der Initiative liegt allerdings dem Vernehmen nach nicht vor. Angesichts der grossen Unsicherheiten wäre eine seriöse Schätzung enorm schwierig. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bezeichnete die Initiative als «postkapitalistisches Luftschloss». Der Verband spricht sich für eine Reduktion des Umwelt-Fussabdrucks aus, doch man könne dies «nicht innert weniger Jahre übers Bein brechen, ohne grosse Rückschritte in Kauf zu nehmen».
Gemäss Schätzung des Global Footprint Network, die auf einer etwas anderen Methode als die eingangs erwähnte Schweizer Studie beruht, lag der Schweizer Umwelt-Fussabdruck pro Einwohner 2019 etwa auf dem Vierfachen des global Verkraftbaren. Westeuropa als Ganzes lag gar beim Fünffachen. Der einzige Kontinent nahe bei der Belastungsgrenze war der ärmste: Afrika.
Die grüne Vision
Wie sich die Initianten den Umbau der Wirtschaft vorstellen, zeigte im vergangenen Jahr ein Positionspapier der Jungen Grünen mit dem Titel «für eine postkapitalistische Wirtschaft». Zentrale Stichworte dabei: Vergemeinschaftung des Bodens, Vergemeinschaftung von Unternehmen, Vergesellschaftung aller Produktionsmittel, Einführung der 24-Stunden-Arbeitswoche, Rückbau schädlicher Wirtschaftsbereiche im Sinne des grünen Schrumpfens. Pikant ist auch der lobende Verweis des Papiers auf die britische Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs: «Der Konsum fiel dabei um fast ein Drittel, was nicht für Unmut sorgte, sondern für ein Gefühl des Zusammenhalts.»
Ein Schrumpfen der Wirtschaft kann man wollen. Doch wer gleichzeitig oft mehr Geld via AHV-Renten, Subventionen für Krankenkassenprämien und sonstige finanzielle Segnungen des Staates fordert, wie das die Linke tut, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Jungen Grünen fordern allen Ernstes «eine vom Wirtschaftswachstum unabhängige Finanzierung des Sozialstaats». Frei übersetzt: Der Wohlstand fällt kraft der Naturgesetze vom Himmel.
Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»
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