Wie Vereine, Stiftungen und Genossenschaften die Schweizer Gesellschaft stärken Von Rütli und Reduit zu Kraftwerk1 und Klimajugend: was eine Willensnation zusammenhält – ein Gastbeitrag von Markus Gmür, Professor für NPO-Management und Direktor des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg.

Von Rütli und Reduit zu Kraftwerk1 und Klimajugend: was eine Willensnation zusammenhält – ein Gastbeitrag von Markus Gmür, Professor für NPO-Management und Direktor des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg.

Jenseits von Gehorsam und Gewinninteresse: Auch soziale Beziehungen sind ein Kapital. (Illustration: Sara Sparascio)

Worauf beruht der gesellschaftliche Zusammenhalt in einem Gemeinwesen, das sich durch eine Vielzahl von Sprachen, politischen oder religiösen Bekenntnissen und Lebensentwürfen auszeichnet? Wenn sich Schweizerinnen und Schweizer  im Ausland dazu eingeladen fühlen, das Erfolgsrezept ihres Herkunftslandes zu verraten, dann greifen dazu die meisten in den 700 Jahre alten Fundus ihrer nationalen Geschichte voller Ereignisse und Helden der Selbstbehauptung: teils kriegerisch oder wegduckend, teils mit guten diplomatischen Diensten, geschickten wirtschaftlichen Deals oder humanitären Initiativen.

Aber wie stark ist die Bindungskraft dieser Erzählungen im 21. Jahrhundert angesichts der Digitalisierung, Migrationsbewegungen und des Klimawandels? Welche Bindungskräfte gibt es ausserhalb von Familie und Freundschaft jenseits der überlieferten Mythen?

Liberaler Staat und freies Individuum

Wenn wir unsere Wohnung verlassen, treten wir in einen öffentlichen Raum, der von einer staatlichen Ordnung und vielfältigen Marktbeziehungen geprägt ist. Der liberale Staat lässt der wirtschaftlichen Betätigung und dem freien Spiel der Kräfte viel Raum und verzichtet weitgehend auf eine verordnete Vergemeinschaftung, wie sie autoritäre Regimes kennzeichnet. So bewegt sich das Individuum frei, aber einsam: Als Staatsbürger oder als Konsument, auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmt, soweit der Service public ein entsprechendes Leistungsangebot offeriert beziehungsweise das Portemonnaie eine Konsumoption eröffnet.

Dahinter stehen staatliche Organisationen, die dauerhafte Verbindungen und Verpflichtungen zwischen Obrigkeit und Staatsbewohnern schaffen, und marktwirtschaftliche Unternehmen, die mit ihrem Leistungsangebot eine vorübergehende Tauschbeziehung mit ihren Kunden und Kundinnen eingehen.

Der sogenannte dritte Sektor jenseits von Staat und Markt umfasst alle Organisationen, die weder staatlich verankert noch erwerbswirtschaftlich motiviert sind. Dazu zählen rund 80 000 Verbände und Vereine, knapp 14 000 Stiftungen, ein Teil der etwa 8000 Genossenschaften sowie ein paar gemeinnützig ausgerichtete Kapitalgesellschaften.

Sie alle werden als Non-Profit-Organisationen (NPO) bezeichnet, weil sie aufgrund ihrer Rechtsform zwar möglicherweise Gewinne erzielen, aber nicht (oder im Falle von Genossenschaften nur eingeschränkt) an ihre Träger verteilen dürfen. Der Sachzweck steht damit gegenüber erwerbswirtschaftlichen Interessen klar im Vordergrund. NPO sind aber durchaus bereichernd in dem Sinne, dass sie einen Gemeinnutzen schaffen oder diejenigen stützen, die ihre legitimen Bedürfnisse aus eigenen Kräften nicht decken können.

Keimzellen des Zusammenhalts

Das tun sie vor allem in Bereichen, in denen der Staat nicht aktiv wird – weil es dafür keine politischen Mehrheiten oder unverplante Steuermittel gibt – und das Marktangebot für wirtschaftlich schwache Personen nicht ausreichend und bezahlbar ist. Diese Bereiche sind Gesundheit und Soziales, Bildung und Kultur, Umwelt und Wohnen, Sport und Freizeit, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, Bürger- und Konsumenteninteressen, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit, um nur einige der wichtigsten zu nennen.

Was Verbände, Vereine, Genossenschaften und Stiftungen erzeugen und erhalten, sind soziale Beziehungen jenseits von Gehorsam und Gewinninteresse – und damit die Keimzellen für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ergibt sich nicht nur aus den Leistungen, die sie erbringen oder veranstalten. Es resultiert im Fall der mitgliedschaftlichen Rechtsformen  auch aus der Entscheidungsfindung, die auf der Basisdemokratie und dem Kopfstimmprinzip (unabhängig von der ökonomischen Potenz wie etwa bei Kapitalgesellschaften) beruht.

So unterschiedlich ein Wirtschaftsverband, eine Wohnbaugenossenschaft, eine Gesundheitsliga, ein Sportverein oder eine Umweltbewegung auf den ersten Blick scheinen: Sie alle schaffen Verbindungen zwischen Menschen, Gruppierungen oder Organisationen mit gleich gerichteten Interessen («bonding»)  oder sie bringen Menschen, Gruppierungen oder Organisationen mit unterschiedlichen Interessen zusammen («bridging»), die andernfalls nicht zusammengefunden hätten.

Das einzelne Mitglied erhält darin Bestätigung und profitiert von einer Bündelung der Kräfte und solidarischen Anstrengungen; es lernt auch andere Standpunkte kennen,  so wie Wege zu einer Verständigung über Interessengegensätze hinweg.

Was staatliches Ordnungsstreben und marktwirtschaftliches Ringen nicht leisten können, dafür bieten die Organisationen des dritten Sektors Räume und gute und sinnhaltige Gründe. So kann sich auch die Willensnation Schweiz in einer durch steten Wandel gekennzeichneten Welt immer wieder erneuern.

 


Und jetzt etwas fürs Allgemeinwissen. Welche Rechtsform haben die nachfolgenden Organisationen? Für Antworten weiterscrollen.

 

 

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